Gefährliche Arbeit auf hoher See – die M Series auf der Sea-Watch 2

Die Flüchtlingskrise fand ihren Höhepunkt im Jahr 2015, als insgesamt mehr als eine Million Menschen die Einwanderung über das Mittelmeer nach Europa antraten: fast die Hälfte kam aus Syrien, jeder Fünfte stammte aus Afghanistan und acht Prozent flohen aus dem Irak. Die Meisten wählten den Weg über die Balkanroute – etwa 3.735 Menschen starben dabei.

Ein Jahr zuvor wurde die Sea-Watch e.V. gegründet, eine gemeinnützige Initiative, die sich der zivilen Seenotrettung von Flüchtenden verschrieben hat. Es begann alles mit einem hochseetüchtigen umgebauten Fischkutter aus den Niederlanden, der Sea-Watch 1. Die Situation auf dem Mittelmeer und die immense Anzahl von Flüchtlingen machten es jedoch unumgänglich, dass sich die Organisation nach einem neuen Schiff umsah – die Sea-Watch 2 wurde gekauft und ebenfalls umgebaut. Auf diesem Schiff kann rund um die Uhr gearbeitet werden, auch bei schlechtem Wetter, da es stabiler ist und einer größeren Crew Platz bietet. Die Räumlichkeiten machen eine medizinische Erstversorgung der Menschen möglich. Mit dabei an Bord: die M Series® von ZOLL® Medical. Das Medizintechnikunternehmen aus Köln überließ Sea Watch als Spende zwei Geräte, damit noch mehr Menschen geholfen werden kann.

Thorsten Kliefoth, 51 Jahre, Notfallsanitäter in der Rettungsdienst Kooperation in Schleswig-Holstein, war schon einige Male auf dem Mittelmeer im Einsatz. Er berichtet im folgenden Interview über die Arbeit von Sea-Watch, die medizinische Betreuung an Bord und nimmt Stellung zur aktuellen Kritik an den Hilfsorganisationen.

Frage: Wie läuft die Rettung der Flüchtlinge genau ab?
Kliefoth: Wir dürfen mit unserem Schiff bis 12 Meilen vor die lybische Küste fahren, ab dort beginnt das Hoheitsgebiet – eine gefährliche Zone. Die Seenotrettungsstelle schickt uns die Standortdaten der Boote. Wir begeben uns dann mit Schlauchbooten dorthin, verteilen Rettungswesten und machen uns erst einmal ein Bild vom Zustand der Menschen und der Boote. Wenn es notwendig ist, nehmen wir die Flüchtlinge mit an Bord der Sea-Watch 2, wo sie erstversorgt werden. Die Boote sind oft viel zu voll und einige Flüchtlinge sind bewusstlos – manche sogar tot. Damit die Schlepper die Boote nicht mehr benutzen können, werden sie anschließend versenkt oder verbrannt.

Frage: Was sind die häufigsten Krankheitsbilder der Flüchtlinge?
Kliefoth: Viele Menschen sind aufgrund von Flüssigkeitsmangel dehydriert oder werden aus Erleichterung bewusstlos wenn die Anspannung abfällt. Andere haben Schnittwunden durch die scharfen Bolzen der Schlauchboote und einige leiden an Verbrennungen durch ausgelaufenen Treibstoff, der sich mit dem Seewasser zu einer ätzenden Substanz vermischt.

Frage: In welchen Fällen werden die zwei M Series eingesetzt?
Kliefoth: Reanimationen sind die absolute Ausnahme, allein schon, weil eine weitere Intensivtherapie unmöglich ist. Hauptsächlich nutzen wir die M Series zur Überwachung der Patienten. Die Geräte sind sicher in Wandhalterungen angebracht, damit sie bei Seegang dortbleiben, wo sie hingehören. Für uns sind die Geräte an Bord sehr wichtig, da sie uns durch ihre Überwachungsfunktion bei der richtigen Behandlung unterstützen. Im Bordhospital ist es sehr eng. Deshalb kann man nicht immer direkt vor jedem Patienten oder dem Monitor sitzen. Das große und helle Display bietet da schon echte Vorteile. Außerdem lässt sich das Gerät durch die Vibrationen an Bord nicht so leicht aus der Ruhe bringen, da es ja für mobile Anwendungen gemacht ist.

Frage: Wie lange sind die Flüchtlinge an Bord und was passiert anschließend?
Kliefoth: Die Flüchtlinge bleiben nach Möglichkeit nur wenige Stunden an Bord und werden dann von der italienischen Küstenwache oder anderen größeren Schiffen übernommen, die sie nach Italien bringen.

Frage: Wie lange dauert ein Einsatz? Und welche Personen befinden sich an Bord?
Kliefoth: Ein Einsatz dauert 2 Wochen, danach fährt das Schiff zurück nach Malta, wo es stationiert ist und die Besatzung wechselt. Zu der Besatzung gehören 16-17 Mitarbeiter bestehend aus Ärzten, Notfallsanitätern, Krankenschwestern, Kapitän und Offizier, Journalisten, Fotografen, Koch, Maschinisten und einem Schiffselektriker. Jedes Mitglied des Teams packt überall mit an und hilft wo Hilfe gebraucht wird.

Frage: Was sagen Sie zu den Vorwürfen die Hilfsorganisationen würden mit Schleppern kooperieren?
Kliefoth:
Die Vorwürfe, die von der italienischen Staatsanwaltschaft erhoben wurden, sind inzwischen alle von genau derselben Staatsanwaltschaft widerlegt. Sea-Watch ist ein eingetragener Verein und eine international anerkannte Seenotrettungsorganisation und muss die Finanzen offenlegen. Irgendwelche fragwürdigen Zahlungen wären da schon aufgefallen.

Dann gibt es da noch diese interessante Geschichte mit den Lichtsignalen, die nachts von den Rettungsschiffen an die Küste gesendet werden. Das würde ja tatsächlich funktionieren, wenn denn die Erde eine Scheibe wäre. Aber über 20 und mehr Seemeilen sieht man das Licht nicht, da die Erdkrümmung im Weg ist.

Uns ärgert immer mehr, dass solche Thesen, auch von Politikern, ungeprüft weiterverbreitet werden, da das natürlich ein Klima des Misstrauens schafft. Und eine Organisation, die auf Spenden angewiesen ist, braucht nun mal Vertrauen.

Anmerkung: Das Interview stellt die Situation vor Libyens Küste dar, wie sie vor einigen Wochen war. Seitdem hat sich die Lage deutlich verändert: Ein Schiff wurde beschlagnahmt, ein anderes mit Warnschüssen von der libyschen Küstenwache vertrieben, obwohl es in internationalen Gewässern unterwegs war. Die Organisationen prüfen zur Zeit, ob und wenn ja, wie ein weiterer Einsatz überhaupt noch möglich ist.

Sea Watch 1
Sea Watch 2
Sea Watch 3

Bildquelle: Kenny Karpov

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